Frau sein – Frei sein
Ich komme nicht um das Thema herum: Feminismus. Ich habe eine Hemmung, mich diesem Thema zu widmen, weil ich diese Stimmen höre: „Nicht schon wieder dieser Emanzenquatsch. Weil ich mich gut
daran erinnern kann, wie Alice Schwarzer zu meiner Zeit in den Medien durch den Dreck gezogen wurde. Ich möchte nicht in eine Schublade gesteckt werden. Und weißt du was? Ich entscheide mich
jetzt dazu, dass mir das scheiß egal ist, denn was steckt hinter dieser Blockade? Die Macht: des Patriarchats!
Schon das Buch von Sandra Konrad „das beherrschte Geschlecht“ hat mich auf einer Ebene aufgefangen, die ich nicht richtig in Worte fassen kann. Es war, als ob ich endlich eine Antwort auf
eine ungestellte Frage bekam. Eine Frage von emotionaler Qualität, keine, die ich je gewagt hätte in Worte zu fassen, denn dafür kannte ich keinen Sprach-Code. Ich bekam plötzlich eine
Antwort auf ein generelles Unwohlsein, eine Art Unbefriedigtheit, eine Enge, in der ich nicht richtig atmen konnte. Plötzlich konnte ich mich ganz klar als Frau erkennen. Ich habe jedoch in
meinem Leben viel zu lange nicht danach gelebt. Stück für Stück bröckelten die Bilder, die ich mir seit meiner Kindheit ausgemalt hatte ab und hinterließen das Bild einer Welt, die mich
wütend machte. Da war so viel Wut, die ich endlich einzuordnen wusste. Endlich haben all meine Demütigungen und Schmerzen einen Raum gewonnen. Ich konnte verstehen, woher sie kamen. Es war
gleichzeitig unbeschreiblich befreiend. So, als ob ich plötzlich die Tür sehen konnte, durch die ich gehen muss, um meiner wahren Natur entgegen blicken zu können.
Das selbe Gefühl konnte mir Alexandra Zykonov mit ihrem Buch „Wir sind
doch alle längst gleichberechtigt“ schenken. Endlich verstehe ich, warum ich so sehr auf der Suche nach Antworten bin, die unantastbar erscheinen, weil ich immer noch auf der falschen Spur
suche – auf eine ganz subtile Weise. Weil es im tief im System verankert ist.
Wenn ich auf Instagram poste und mich in meinem Perfektionismus frage, ob ich das posten kann, dann erwische ich mich dabei, wie ich mich frage: Was könnte „Er“ dazu sagen… (mein potentieller
Arbeitgeber, mein ehemaliger Chef, mein großer Mentor Herr Kieselbach (auch wenn er schon unter der Erde liegt!). Was würde mein Vater denken, meine Arbeitskollegen oder die meines Mannes?
Was könnte „Er“ darüber denken? Diese Frage stelle ich mir nicht bewußt. Es geschieht automatisch. Es ist mit mir verwachsen. Das ist wieder dieses unerklärbare Gefühl, als ob es von einem
kollektiven Erbe stammt – unreflektiert und eingepflanzt: ein transgenerationales Erbe.
Ich habe nach dem Lesen dieser Bücher mehr Freiheit gespürt. Natürlich gepaart mit dem Entsetzen der Erkenntnis über den Stellenwert der Frau in unserer Gesellschaft. Szenen aus meinem Leben liefen auf einem imaginären Bildschirm ab: Ines, wie sie versucht in der Jungs-Truppe dabei zu sein, wie sie versucht die Jungs im Armdrücken durch ihren Bizeps zu beeindrucken. Ines, wie sie versucht nicht aufzutreten wie ein Mädchen, weil sie wußte, Mädchen sind Heulsusen, Jungs sind cool. Wie sie versuchte, sich in die Fußballmannschaft einzugliedern und sich mit Jungs auf dem Grundschulhof prügelte, um nicht zu den in Kleidchen gepferchten Mädels zu gehören, die „Mädchenkram“ machen. Ich erinnere mich, dass ich am Ende nicht sehr glücklich dabei war, weil dieses Verhalten auch irgendwie nicht meinem Wesen entsprach. Es gab halt nur diese beiden Rollen. Entweder starker Junge oder hübsches Mädchen – nichts dazwischen.
Ines, wie sie beim kämmen von ihrer Mutter zu hören bekam: „Wer will sein fein, der muss leiden Pein.“ Ines, wie sie von ihrer Mutter den Rat bekam, sich beim Nachbarn mit einem Strauss Blumen für etwas zu entschuldigen, was er verbockt hatte und sie den Mut zusammengefasst hatte, ihm eine Grenze aufzuzeigen. Ines, wie sie von ihrem Host-Dad (sie war Au-Pair in Amerika) auf ihren Hals geküsste wurde, während sein eigener Sohn auf ihrem Schoss saß. Und wie sie sich nicht traute ihm zu sagen, dass er ein widerliches Arschloch ist, der sich an einer 20-Jährigen vergreift, währen seine Frau nicht zu Hause ist. Wie sie aber versuchte, ihren Schmerz und die Demütigung durch viel Alkohol am Abend zu kompensieren. Wie sie das schmutzige Geheimnis für sich behielt, weil sie wußte, die Host-Mom könnte sie dafür verantwortlich machen und das Familienglück würde zusammenbrechen.
Ines, wie sie innerlich und insgeheim immer daran glaubte, dass irgendwo auf der Welt dieser „Prinz“ auf sie wartet und sie ins Paradies mitnehmen würde. Dass er sie lieben und erkennen
würde, in ihrem wahren Selbst. Weil Ines es nie gelernt hatte, sich selbst dieses Gefühl der Selbstachtung, des Selbstmitgefühls und der Selbstliebe zu geben. Weil Ines gelernt hatte,
es anderen immer recht zu machen. Allen voraus den Jungs – und später den Männern. Ines, wie sie mitreden konnte, wenn es um Pornos ging und wie sie ihre eigenen echten Bedürfnisse im
Sexleben verleugnete, weil sie dachte, zu performen und zu gefallen IST Sex, der sie glücklich macht. Ines, wie sie heute noch mit dem Satz um sich wirft: „Ich habe so manchen Mann unter den
Tisch gesoffen.“
Whiskey trinken war männlich, deshalb habe ich mir krampfhaft die harten Sachen runtergekippt, um auf den Parties bloß nicht wie ein Mädchen dazustehen. Denn die trinken süßes und rosa Zeug.
Es ist nicht so, dass ich in vollem Bewusstsein diese Dinge tat, es war eine subtile Beeinflussung der Werbebrache und der Gesellschaft, die mir ein Bild einpflanzte, dass diese Rolle für
mich richtig sei, um glücklich werden zu können – um dazuzugehören!
Klingt das enttäuschend? Ich höre die Stimmen: „Kein Mann hat all das je von dir verlangt, liebe Ines.“ Habe ich mir wirklich selbst ausgesucht, mich so zu verhalten? JEIN! Zumindest nicht ganz
allein. Oder sagen wir, es hätte viel Aufklärungsarbeit gebraucht, um mich auf diese Dinge Aufmerksam zu machen. Es wurde mir so beigebracht von Mr. Disney, vom Kinderfernsehprogramm, von der
Spilezeugindustrie, von meinen Freundinnen, von der Bravo, von meinen Eltern, Kindergärtnerinnen und auch von meiner Omi. Von der habe ich persönlich erfahren, dass einer Frau Sex nicht gefallen
muss. Er ist dazu da, den Mann glücklich zu machen.
Zurück zum Alkohol: Unter Alkoholeinfluss habe ich ziemlich schnell meine Hemmungen verloren und konnte mich ganz diesem eingetrichterten, vermeintlich emanzipierten Verhalten hingeben. Während
ich dachte, es sei rebellisch, mich genau so zu verhalten, wie Männer und mich meinem „freien“ Sex- und Partyleben hingab, merkte ich nicht, dass ich dabei nicht meinen eigenen Regeln folgte. Ich
tat es immer, um zu gefallen. Das wurde mir allerdings erst bewußt, als ich den Alkohol aus meinem Leben verbannte. Indem ich nüchtern wurde, erwachte in mir die Frau, die ich selbst so viele
Jahre nicht kennenlernen durfte. Nicht gleich nach ein paar Wochen, nee, da war ich damit beschäftigt, meinen Alltag neu zu gestalten und n i c h t zu trinken. Dieser Prozess begann schleichend –
später, als ich mir keine Gedanken mehr über den Alkohol machen musste.
Diese Bücher über Feminismus helfen mir dabei, mir diesen Prozess auf logische und natürliche Weise zu durchleben und auf dem richtigen Weg zu bleiben: auf meinem Weg.
By the way: Auch das Wort Feminismus ist eines der Wörter, bei denen ich unbewußt Hemmungen habe, darüber zu schreiben. Steckt da auch der unbewußte aber tiefe Glaubenssatz hinter: Was könnte
„Er“ denken? Es ist an der Zeit, diese Einschränkungen zu durchbrechen. Denn eines meiner echten Bedürfnisse ist darüber zu sprechen, was ich als Frau empfinde, ohne dabei befürchten zu müssen,
dass ich meinen Platz auf der Rangliste der Anerkennung verlieren könnte. Dazu gehört auch: ich muss keinen Alkohol trinken, um dazuzugehören. Ich darf rebellisch sein und mich gegen den Strom
stellen, der sich über Jahrtausende im Patriarchat entwickeln konnte. Denn Alkoholismus hat mehr mit der Unterdrückung der Frau zu tun, als manche zu glauben wagen.
Und so darf ich feststellen, dass die Befreiung vom Alkohol nicht allein die Befreiung einer giftigen Substanz ist. Sie ist die Tür zu einer Welt, wie ich sie aus meinem tiefsten inneren Wesen
als Frau leben möchte.
Fühlst du dich angesprchen? Bitte schreib in die Kommentare. Trau dich!
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